"Wer die Vergangenheit nicht kennt, wird die Zukunft nicht meistern!"

Gedenken an 70000 ermordete behinderte Menschen

1996 wurde der Tag  des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus in Deutschland  proklamiert. In jedem Jahr wird am 27. Januar in der gesamten Bundesrepublik der über sechs Millionen, im dritten Reich ermordeten europäischen Juden, Sinti und Roma, Zwangsarbeiter,  dem Hungertod preisgegebenen Kriegsgefangenen, der Opfer staatlicher Euthanasie und der Homosexuellen gedacht. Sie wurden aus religiösen, politischen und unmenschlichen Gründen Leidtragende einer menschenverachtenden Willkür des nationalsozialistischen deutschen Reiches  von 1933 bis 1945.

Zu diesem Gedenken sind wir den Opfern verpflichtet, welche den Tod fanden und davor qualvoll gelitten haben, sich demütigen lassen mussten, zur Zwangssterilisation gezwungen und  für „medizinische “Versuche ausgenutzt wurden. Es ist Aufgabe daran zu erinnern, wozu eine ganze Gesellschaft und darinnen der einzelne Mensch, in der Lage sind.

Die Forderungen nach Euthanasie/Gnadentod  – Tötung „lebensunwerter“ Menschen – wurden bereits in den zwanziger Jahren lauter, über zehn Jahre vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten.

 Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde per Gesetz die „Rassenhygiene“ zu einem Staatsziel erklärt. So wurde, unter 1933 das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ erlassen. Es verpflichtete Ärzte zu Zwangssterilisierungen an Behinderten und psychisch Kranken. Als erbkrank galten Menschen mit "angeborenem Schwachsinn", "Schizophrenie", "manisch-depressivem Irresein", "erblicher Fallsucht" (Epilepsie), "erblichem Veitstanz" (Chorea Huntington), "erblicher Blindheit", "erblicher Taubheit", "schwerem Alkoholismus" und "schwerer körperlicher Mißbildung". So war z.B. der damalige Korker Anstaltsarzt der Ansicht, dass 80% der Korker Heimbewohner an "erblicher Fallsucht" litten.

Es erfolgten 360000 Zwangsterilisationen, bei denen zudem 6000 Menschen starben.

Die offiziellen Vernichtungsaktionen ließen sich erst ab 1939, also nach Kriegsbeginn durchsetzen. Hitler unterschrieb eine ab August 1939 wirksame Verfügung zur Tötung von schwer behinderten Kindern. In 37 neu eingerichteten "Kinderfachabteilungen" wurden mit tödlichen Medikamentendosen mindestens 5.000 Kinder im Alter von bis zu 16 Jahren umgebracht. Diese hatten zuvor bei ihren Eltern oder in Heimen gelebt.

Für die weiteren Vorbereitungen der „Erwachsenen-Euthanasie“ gab es keine schriftlichen Unterlagen, auch eine gesetzliche Grundlage gab es nicht. Das war in erster Linie auf damalige außenpolitische Gründe zurückzuführen.

Die Aktion „T4“ wurde gestartet und damit die Instrumentalisierung der Euthanasie. Der  Name „T4“, steht für Tiergartenstr. 4 in Berlin, in welcher die „Zentraldienststelle T4“ untergebracht war. T4 war eine Tarnadresse und der Sitz der damaligen Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten, legitimiert durch die „Gemeinnützige Stiftung für Anstaltspflege“ und administrativ unterstützt von der "Zentralverrechnungsstelle Heil- und Pflegeanstalten". Dort wurden die Patient/Innen von Ärzt/Innen untersucht und nach "Erblichkeit", "Unheilbarkeit", "Arbeitsleistung", "Asozialität", "Rassenzugehörigkeit“  selektiert. Danach wurden die  Untersuchten in sechs verschiedene Tötungsanstalten in den sogenannten grauen Bussen durch die "Gemeinnützige Krankentransport-Gesellschaft mbH" (GEKRA) abtransportiert:

 •Bernburg 

 •Brandenburg,

 •Grafeneck,

 •Hadamar,

 •Hartheim

 •Sonnenstein bei Pirna

Sie wurden in diesen Vernichtungsanstalten mit Kohlenmonoxid vergast.

Über 70.000 behinderte Menschen fielen 1940 und 1941 dieser Tötungsaktion zum Opfer.

Die T4-Aktion wurde 1941 offiziell gestoppt.

Aber auf regionaler Ebene liefen die Aktionen weiter. Insbesondere wurden Patienten aus Anstalten deportiert, um Platz für Kriegsopfer zu schaffen, und dann in den Auslagerungs-anstalten umgebracht. Diese verdeckten Maßnahmen wurden großenteils durch das Pflegepersonal auf Weisung von Ärzten durchgeführt. Sie fanden in mindestens dreißig Anstalten statt, wurden durch Aushungern und Überdosierung von Medikamenten vollzogen und forderten

noch weitaus mehr Todesopfer als die erste Tötungswelle. Teilweise experimentierten die Mediziner an den ihnen ausgelieferten Patienten, manche forderten die Gehirne der Ermordeten zur Forschung an, andere hofften in einer "gesäuberten" Versorgungslandschaft effektivere Therapien für die Überlebenden zur Verfügung stellen zu können.

Hunderte von Ärzten waren an den Tötungsaktionen direkt beteiligt, mindestens vierzig Psychiater verfassten die Gutachten, etliche Vordenker und Organisatoren waren ebenfalls Psychiater. 

Für uns scheint ein solches Denken und Handeln in der heutigen Zeit unvorstellbar und ist schwer nachvollziehbar.

Was und wer hat gerade Ärzte, Psychiater, Pflegekräfte, Juristen, …dazu getrieben, solche Verbrechen zu begehen?

Ist es der ewig währende Forschungsdrang wie in allen Wissenschaften, der zu einer tödlichen Gefahr werden kann, wenn man die Grenzen nicht erkennt, nicht erkennen will oder nicht erkennen kann, der in diesem Fall Mediziner zu unmenschlichen Versuchen, Experimenten und Tötungen an Menschen veranlasst hat?

Die damalige hervorragende Ideologie des Nationalsozialismus hat jedenfalls einen guten Boden dafür geboten.

 Was hat „intelligente“ Menschen zu solchen Taten befähigt?

 Jeder Mensch sollte wenigstens versuchen die Gründe vergangenen Handelns zu begreifen.  Besonders sollte man sich bewusst machen, in welcher Situation man sich selbst befindet und ebenso, in welcher anderen Situation man sich bereits am nächsten Tag befinden kann.

In der Rede vor dem Bundestag zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus spricht Angela Merkel über den heute notwenigen Kampf gegen Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Anfeindungen gegen Andere. Wer sind Andere? Bin ich eventuell damit gemeint? Bin ich eine Andere? Ich habe eine Epilepsie. Habe ich eventuell eine „erbliche Fallsucht“? Ich habe eine Behinderung, so steht es geschrieben, auch wenn ich mich nicht so fühle - für einen kurzen Augenblick bin ich manchmal eben weg - in einer anderen Welt. 

Ich versuche mir Vorstellungen über das Damals in den „Anstalten“ zu machen, wie es den Menschen ergangen ist, wie sie gelitten haben, was sie gefühlt und empfunden haben?

In letzter Zeit verfolgen mich diese Gedanken häufiger als je zuvor und ich denke oft mit Besorgnis an das  das Heute und Morgen. Der Rechtsruck ist seit langer Zeit nicht zu verleugnen in unserer Gesellschaft und ein Wille bestimmter Leute zur „ethnischen Reinigung“ ist vorhanden.

Auch erinnere ich mich aber ebenso an den Beschluss des Bundestages vom 10.11.2016 zur Änderung des Arzneimittelgesetzes (AMG) in den §§ 40 f. ,in dem es u.a. um die Genehmigung der gruppennützigen klinischen Prüfung an nicht einwilligungsfähigen Menschen, geht. Gegen diesen Tabubruch haben im Vorfeld damals Kirchen sowie zahlreiche große Organisationen, Vereinigungen und Einzelpersonen protestiert, leider ohne Erfolg.

Heute geht es mir gut. Dafür bin ich dankbar. Ich bekomme Medikamente, die mir helfen mit meiner Krankheit gut leben zu können. Vielen Betroffenen geht es ebenso.

Aber trotzdem sollten wir nie vergessen!

  „Wer die Vergangenheit nicht kennt, wird die Zukunft nicht meistern“!!!

                                                                                                                          Bärbel Teßner